Am Morgen wachten wir wie üblich zum ersten Mal gegen 5 Uhr auf. Die Sonne blinzelte herein und wir stellten zum wiederholten Mal fest, dass wir die Zeitumstellung einfach noch nicht bewältigt haben. Das zweite Mal als wir dann aufwachten war es gegen 8 Uhr. Die restlichen Kilometer nach Krasnojarsk waren schon bald abgespult.
Krasnojarsk hat eigentlich nicht viel zu bieten und doch finden wir es wunderschön. In einem Kommentar wurde es ja schon angekündigt und tatsächlich, es gibt hier Berge mit 400 m. Die Landschaft veränderte sich dadurch sehr und wurde für uns interessanter. Krasnojarsk liegt am Jenissei und bei Krasnojarsk befindet sich der Staudamm der den Jenissei, der aus dem Süden kommt, staut. Der Jenissei ist mit seinen fast 3500 km Länge einer der längsten Flüsse der Welt und entspringt in der Mongolei und fließt in das Polarmeer. Im Sommer ist er schiffbar und die Schiffe versorgen die Dörfer bis hoch zum Polarmeer. Im Winter ist er befahrbar und die Verbindung zu den Dörfern erfolgt auf dem zugefrorenen Fluss. Pisten in Richtung Norden gibt es nur noch für die nächsten 200 km, dann endet das Straßennetz und ein Fortkommen mit dem Fahrzeug ist außerhalb der Wintermonate unmöglich. Allerdings beginnt dort, wo die Straßen enden, auch schon der Permafrostboden. Der Staudamm hier wurde im Jahre 1969 fertig gestellt und versorgt diesen Landesteil mit Strom. Hauptsächlich für die Aluminiumgewinnung wird viel Energie benötigt. Außer Aluminium werden hier noch mannigfach andere Bodenschätze abgebaut. Uran, Erdöl, Erdgas, Gold, Kohle und vieles mehr. Durch die gewaltige Wassermenge, die hier angestaut wird, hat sich das Klima verändert. Das Wasser im Stausee speichert in den Sommermonaten so viel Wärme, dass der See trotz der Kälte im Winter nicht zufriert. Der Fluss unterhalb der Staumauer ist in der Regel von November bis März zugefroren und dadurch als Autostraße nutzbar. Der Jenissei mit See ist schiffbar und die Schiffe werden über ein Schiffshebewerk vom Fluss in den See transportiert. Ein gewaltiges Bauwerk. Auch Flusskreuzfahrten sind möglich. Darüber hinaus ist der Fluss für den Holztransport sehr nützlich. Hier in der Taiga befindet sich das größte zusammenhängende Waldgebiet der Welt.
Wir verbrachten den ganzen Tag mit Staunen und Schauen. Am Nachmittag verließen wir die Gegend allerdings wieder und fuhren noch 40 km weiter. Dort stehen wir nun einen Kilometer abseits des Transsib-Highway mitten in einem Feld. Soweit das Auge reicht ein Feld. Weit in der Ferne ein kleines Dorf. Wir hätten gerne einen Baum als Sichtschutz gehabt, den gab es aber nicht und die wenigen Birken standen in der Nähe von Wasser, sodass wir beim Anfahren befürchten müssten, dass wir im Schlamm versinken. Also stehen wir auf dem Feld, der Wind rauscht und einige Vögel pfeifen. Sonst ist es still. Wir genießen was in Deutschland so schon lange nicht mehr möglich ist und philosophieren so vor uns hin, dass alles wohl Vor- und Nachteile hat.
So idyllisch es hier am Vorabend war, so idyllisch war auch der Morgen. Nach dem Frühstück verließen wir diesen Präsentierteller. Wir waren dort bestimmt auf 5 km rundum sichtbar, keiner nahm Notiz von uns. Es wurde ein traumhaft schöner Tag und wir fuhren nun durch die Hügel der Taiga auf endlos geraden, gut ausgebauten Straßen umsäumt von Wäldern soweit das Auge reicht. Teilweise ist auch hier sichtbar, dass Teile des Baumbestandes krank sind. Die Umwelt leidet auch hier, manchmal glauben wir sogar, mehr als zu Hause. Die Industrie in den Städten, die Erdölgewinnung, all dies trägt dazu bei. Umweltschutz wird sehr klein geschrieben.
Die Landschaft hat sich verändert und ist abwechslungsreicher geworden.
Mittagspause gab es an einem kleinen See. Trotz der noch niedrigen Wassertemperatur sahen wir zum wiederholten Mal, dass Einheimische schon baden. Zu kurz ist wohl der Sommer.
Abends stehen wir nun am Rande eines 500 Seelendorfes in Mittelsibirien an einem See und einer verfallenen Kirchenruine. Gisela kocht gerade Gulasch und der Wein ist schon kalt gestellt. Ihr seht, wir lassen es uns gut gehen.
Am nächsten Morgen fuhren wir dann weiter in Richtung Irkutsk. Bernhard und Brigitte teilten uns per Mail mit, dass sie dort beim Eisenbahnmuseum auf einer Insel sehr zentral stehen würden. Bis dorthin waren es aber für uns noch 560 km. Sehr gemütlich mit Fotostopps fuhren wir auf der gut ausgebauten Straße ohne Zeitzwang. Ein Teilabschnitt der Straße, ca. 20 km lang, befand sich im Bau und wir konnten erspüren, wie diese Fahrt wohl vor 15 Jahren noch gewesen war. Am frühen Nachmittag fanden wir dann etwa 500 m entfernt von der Straße eine schöne abgeschirmte Waldlichtung, die kaum einsehbar war. Diese versprach einen ruhigen, ungestörten Abend. Wir wollten grillen. Schon nach wenigen Sekunden brannte die Birkenrinde, die ich abgeschält hatte und das aufgelegte Birkenholz entflammte schnell. Feuermachen ohne Papier und sonstige Mittel, mit Birkenholz geht es fantastisch. Schon bald darauf war die erste Wurst gegrillt und schmeckte köstlich. Bevor aber die zweite Wurst fertig war, hatten uns schon Kinder, wo die her kamen keine Ahnung, gerochen. Sie spazierten nur vorbei und schauten und trotzdem fühlten wir uns heute gestört. Brigitte hatte inzwischen angerufen und bedauert, dass wir Irkutsk heute nicht erreichen und somit entschlossen wir uns, heute doch noch die 160 km zu fahren. Gedacht, getan, um 20 Uhr waren wir in Irkutsk.
Die Insel ist tatsächlich ein sehr guter Platz zum übernachten und wir verbrachten eine ruhige Nacht. Allerdings waren wir auch entsprechend müde. Am nächsten Tag bummelten wir durch die Stadt. Der Markt war nett, aber hielt den Vergleich mit Novosibirsk nicht stand. Gisela und ich gingen dann zum Bahnhof um uns nach einer Fahrkarte nach Wladiwostok mit der Transsib zu erkundigen. Wie üblich auf den russischen Bahnhöfen bedeutete dies langes Anstehen. Leider um dann zu hören, dass keiner auch nur bruchstückweise englisch sprechen konnte oder wollte. Scheiße, welcher Reinfall und was jetzt. Gisela hat dies akzeptiert, mich aber wurmte diese „Niederlage“. Mit der Straßenbahn ( 20 Cent pro Fahrt) ging es zurück zum Zentrum. Als ich unterwegs ein Reisebüro sah, stiegen wir rasch aus. Leider wieder ein Reinfall, die Kollegin, die englisch sprach war nicht hier. Über Google fand ich aber dann ein Reisebüro und wir bekamen eine kompetente Beratung. Die Dame verstand zwar nicht, dass man 3 Tage Zugfahrt auf sich nehmen will wenn man es auch in kurzer Zeit mit dem Flugzeug schaffen könnte. Beratung hin, Beratung her, die Tickets waren kein Problem. Lediglich, dass es nur Viererabteil gab und man die Kabine teilen müsse und dass der verrückte Spaß auch hier in Russland 1000.- € kosten würde, gab den Ausschlag nicht zu fahren. Die reine Bahnfahrt hätte „nur“ 350.- € pro Person gekostet. Schade, aber vernünftig.
Es war trotzdem ein schöner Tag und abends waren wir wieder rechtschaffen müde. Mit über 25000 Schritten stellten wir an diesem Tag einen Rekord auf.
Am nächsten Morgen hieß es dann Abschied nehmen von Brigitte und Bernhard. Sie fuhren weiter in Richtung Mongolei, wir hatten uns entschlossen noch ein paar Tage auf der Baikalinsel Olchon zu verbringen. Dies bedeutete, 260 km in nordöstlicher Richtung zu fahren. Die Fähre zum Übersetzen auf die Insel hatten wir erfahren, wäre in diesem Jahr schon in Betrieb. Oft verkehrt die Fähre im Mai noch nicht. Die Eisdecke ist für die Fähre noch zu dick, aber das Eis zu dünn um mit dem Fahrzeug direkt über den See zu fahren. Die Insel ist daher oft im Mai nicht zu erreichen. Wir hatten Glück und mit der vorletzten Fähre an diesem Tag setzten wir über.
Danach fuhren wir, hier sind alle Straßen Naturpisten, noch wenige Kilometer um dann querfeldein bis zur Steilküste zu fahren und dort in traumhafter , einsamer Umgebung die Sonne untergehen zu sehen.
Unterwegs, noch auf dem Festland, erlebten wir ein traditionelles Volksfest direkt an der Straße. Viele einheimische Folkloregruppen traten auf.
Pferdewettkämpfe fanden statt. Die Reiter und Reiterinnen auf geschmückten Pferden und in traditionellen Trachten. Wir konnten zwar nicht herausfinden was gefeiert wurde, letztendlich war dies aber auch egal. Es war einfach schön. An diesem Abend hatte Giselas weißes Haar wieder eine schöne braune Patina und als wir abends unser Gesicht abwischten, haben wir beide empfunden, dass wir schon seit Ewigkeiten nicht mehr so viel Dreck im Gesicht gehabt hatten.